Bei der Alzheimerkrankheit sterben die Nervenzellen der Grosshirnrinde ab. Im Gehirn von Alzheimer-Kranken wurde eine erhöhte Konzentration von Aluminium entdeckt. Gesundheitsrisiken durch das Leichtmetall sind überschaubar. Trotzdem ist in der Küche Vorsicht geboten.
So stuften die meisten Wissenschaftler das Leichtmetall Aluminium lange Zeit als harmlos ein.
Dabei galt es in den 70er- und 80er-Jahren als Schwerverbrecher. Man glaubte, es könne an der Entstehung der Alzheimer-Erkrankung beteiligt sein. Damit könnte es etwa 200.000 Deutsche auf dem Gewissen haben – und das jedes Jahr.
Nachdem zahlreiche Untersuchungen die Schuld des Aluminiums aber nicht beweisen konnten, wurde es in den 90er-Jahren erst einmal freigesprochen. Sorglos durfte es weiter zur Aufbereitung von Trinkwasser, im Haushalt und natürlich in der Verkehrstechnik genutzt werden.
Doch nun könnte der Fall noch einmal ganz von vorn aufgerollt werden. Italienische Wissenschaftler von der Katholischen Universität in Rom haben einen neuen Zusammenhang zwischen Alzheimer und Aluminium entdeckt. Die Arbeitsgruppe um Pasquale de Sole hat sich ein Speichereiweiss des menschlichen Körpers vorgeknöpft, das vor allem Eisen speichert, aber ebenso mit anderen Metallen verknüpft sein kann.
Die Ergebnisse sind nun in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „Clinical Biochemistry“ zu lesen – und könnten die Alzheimerforschung wieder einmal in eine völlig neue Richtung lenken.
- Eisenspeicher steckt voller Aluminium
Die römischen Wissenschaftler stellten nämlich etwas Erstaunliches fest: Das sogenannte Ferritin trägt beim Alzheimer-Patienten gleich siebenmal so viel Aluminium wie beim Gesunden. Diese Beobachtung passt nur allzu gut zu den Vermutungen, die eigentlich bereits ad acta lagen: Wenn das Sterben der Nervenzellen bei der Alzheimer-Erkrankung durch Aluminium verursacht würde, dann wäre es nur folgerichtig, dass Alzheimer-Patienten mehr durch das Leichtmetall belastet sind, als es bei gesunden Vergleichspersonen der Fall ist.
Deshalb sind die Ergebnisse von grossem wissenschaftlichen Interesse, selbst wenn das Aluminium am Ende wieder freigesprochen werden sollte. „Man muss die neuen Erkenntnisse ernst nehmen, auch wenn derzeit noch keine definitive Aussage zur Gefährlichkeit von Aluminium getroffen werden kann.“
Dass sich die Wissenschaftler aus Italien nun gerade das Ferritin zur Untermauerung der Aluminium-Hypothese herausgesucht haben, ist schon für sich genommen interessant. Denn eigentlich ist der Proteinkomplex aus einem anderen Kontext bekannt. Wer ab und an mit einer Blutarmut kämpft, hat das Wort „Ferritin“ wahrscheinlich schon einmal auf seinem Laborzettel gelesen: Es ist der Eisenspeicher des Körpers.
- Wo Eisen bindet, binden auch andere Metalle
In Zeiten, in denen zu wenig Eisen mit der Nahrung aufgenommen wird oder zu viel, beispielsweise durch einen starken Blutverlust, verloren gegangen ist, wird hier Eisen wieder frei. Ohne das Spurenelement läuft im Körper allerdings nichts: Es wird vor allem bei der Bildung neuer Blutzellen und beim Aufbau von Muskulatur benötigt. Mit einem gut gefüllten Eisenspeicher soll das immer möglich sein, auch wenn die Umstände einmal widrig sind.
Was aber, wenn das Ferritin noch Aufgaben besitzt, die über die Speicherung von Eisen weit hinausgehen? Denn der Proteinkomplex kann eben nicht nur Eisen, sondern auch andere Metalle binden, wie etwa Aluminium. So schliesst Wissenschaftler Sole aus den Ergebnissen, dass das Ferritin nicht nur Eisen speichert, sondern darüber hinaus den Konzentrationsspiegel anderer Metalle reguliert – indem es sie einfach an sich bindet.
Denn so lebenswichtig Spurenelemente sind, so schädlich können sie auch sein. Wird der Körper mit Eisen, Kupfer oder Aluminium überladen, dann hat das schwere gesundheitliche Konsequenzen. Der Überschuss an Metall-Ionen zerstört lebenswichtige Organe. Auch das Gehirn.
Dazu muss das Aluminium natürlich erst einmal dahingelangen. Und auch hier spielt Ferritin eine Rolle. Das Molekül kann die Bluthirnschranke überwinden und so Eisen – aber auch Aluminium – direkt ins Gehirn transportieren. Wie viel Aluminium mit jedem einzelnen Ferritinmolekül ins Gehirn gelangt, wäre dann plötzlich sehr entscheidend.
- Überladung mit Metallionen lässt Zellen sterben
Denn die Menge an zugelieferten Aluminium könnte direkt über das Ausmass der Eiweissablagerungen bestimmen, die typisch für Alzheimer-Patienten sind, und damit über den Untergang von Nervenzellen. Diesen schädlichen Mechanismus kennt man bereits von der Überladung mit anderen Metall-Ionen. „Bekannt ist, dass eine Nervenzelle umso mehr Eiweiss ablagert, je mehr Eisen sie enthält. Denkbar wäre, dass Aluminium eine ähnliche Wirkung hat“, sagt Beyreuther.
Wäre dem so, würde das den drastischen Zelluntergang bei den Alzheimer-Patienten aus der italienischen Studie erklären. Deren Ferritinmoleküle trugen fast doppelt so viel Aluminium mit sich herum wie Eisen – durchschnittlich 62 Prozent. Dabei sollte es eigentlich umgekehrt sein. Im Ferritinmolekül der gesunden Kontrollgruppe dominierte das Eisen. Die Forscher stellten hier einen Eisengehalt von bis zu 75 Prozent fest.
Stellt sich die Frage, auf welchem Weg das zusätzliche Aluminium zum Ferritin gelangt – oder in unseren Körper überhaupt. Zumindest äusserlich werden wir heutzutage mit Aluminium geradezu überladen. Sorglos fahren wir auf schicken Super-leicht-Rädern durch die Stadt, schmieren Deodorants und Sonnencreme mit Aluminium-Zusätzen auf die Haut und bereiten Essen in Alu-Töpfen zu. Immerhin: Hier ist es uns sehr wohl bewusst, dass wir mit Aluminium hantieren. Doch nicht immer ist der Zusatz von Aluminium so offensichtlich.
- Aluminium im Trinkwasser
Relativ gut versteckt, kann Aluminium auch im Trinkwasser vorkommen. Ob dadurch das Risiko für Alzheimer steigt, wurde in den vergangenen Jahren heftig diskutiert. Bemerkenswert ist zum Beispiel eine grosse Langzeitstudie aus Frankreich, bei der knapp 2000 ältere Menschen über einen Zeitraum von 15 Jahren beobachtet worden sind.
Virginie Rondeau vom Institut National de la Sante et de la Recherche Medicale in Bordeaux und ihr Team hatten dabei einen Zusammenhang zwischen der Aufnahme von Aluminium und dem Demenzrisiko gefunden. Studienteilnehmer, deren Trinkwasser viel Aluminium enthielt, hatten dabei ein mehr als zweifach erhöhtes Risiko, an einer Demenz zu erkranken. Schon 0,1 Milligramm Aluminium täglich gingen mit einem stärkeren kognitiven Abbau einher.
Trotzdem darf Aluminium weiter genutzt und konsumiert werden, ob nun bewusst oder unbewusst. Nicht aus Nachlässigkeit und schon gar nicht aus Unwillen, sondern einfach, weil sich die Studienergebnisse durch Folgestudien nicht eindeutig bestätigen liessen. Ein erhöhtes Alzheimer-Risiko konnte weder bei einer geografisch bedingten Aluminiumbelastung nachgewiesen werden noch bei starker beruflicher Exposition.
Die gültige Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) in Berlin, die aus dem Jahr 2007 stammt, kommt deshalb zu dem Schluss, dass weder von Folien, Töpfen oder Deorollern eine Gefahr ausgeht.
- Keine Alufolie um Saures und Salziges
Man sollte in den Töpfen und Folien allerdings weder Rhabarbarkompott noch Salzgurken lagern. Denn Saures und Salziges zerstören die dünne Schicht Aluminiumoxid, die sich natürlicherweise bei Kontakt mit Sauerstoff bildet. Sie verhindert, dass Aluminium vom Topf auf Kompott und Gurken übertragen wird. Bekommt diese Schicht Risse, kann das Leichtmetall in die Speisen übergehen. Das BfR empfiehlt deshalb, trotz strittiger Studienergebnisse, Alu-Geschirr und -Folie nicht zu lange mit stark sauren und stark salzhaltigen Lebensmitteln in Kontakt zu bringen.
Doch genügen diese wenigen Vorsichtsmassnahmen auch nach den neusten Erkenntnissen noch? „Wahrscheinlich ja“, sagt Roland Brandt, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Alzheimer Forschung Initiative in Düsseldorf und Neurobiologe an der Universität in Osnabrück. Ein hoher Konsum von Aluminium über das Trinkwasser kann, legt man die Daten aus Italien zugrunde, ein Risikofaktor für die Alzheimer-Erkrankung sein.
Allerdings steht der wohl hinter anderen Risikofaktoren wie schlechten Ernährungsgewohnheiten, übermässigem Alkoholkonsum, geringer geistiger Aktivität und Bewegungsmangel deutlich zurück. Zudem sei längst nicht geklärt, wie Aluminium und Alzheimer überhaupt zusammenhängen. „Die Studie ist sehr interessant, da sie eine Assoziation zwischen erhöhter Aluminiumbeladung eines Speicher- und Transportproteins und der Alzheimer-Erkrankung nachweist. Ob beide Parameter aber auch kausal zusammenhängen, kann sie nicht zeigen“, sagt er. Mehr Aluminium im von Alzheimer geschädigten Gehirn muss noch lang nicht heissen, dass dieses auch für das Sterben der Hirnzellen verantwortlich ist.
- Viele Ursachen – eine Krankheit?
Ähnlich sieht das Beyreuther. Was tatsächlich hinter den neuen Ergebnissen steckt, das könnten nur weitere ausgedehnte Studien zeigen. „Alzheimer kann wahrscheinlich unterschiedliche Ursachen haben. Sollte eine Überladung mit Aluminium eine davon sein, dann könnten bestimmte Risikopersonen zukünftig vielleicht therapiert werden, noch bevor die Krankheit bei ihnen ausbricht. Möglicherweise könnten bestimmte Medikamente, die derzeit bei einer Überladung mit Eisen eingesetzt werden, hier ebenso wirksam sein“, sagt Beyreuther.
Die neue Studie aus Italien könnte also nicht nur einen Übeltäter – von wahrscheinlich vielen – beim Alzheimergeschehen entlarven. „Die Forschungsmethoden haben sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. So ist es möglich, dass wir heute einen Zusammenhang finden können, der mit den alten Mitteln bisher nicht nachweisbar war. Unter diesem Aspekt lohnt es sich, den Fall aktuell noch einmal ganz neu aufzurollen“, sagt Beyreuther. Dabei könnten Forscher neue Möglichkeiten finden, um Alzheimer zu bekämpfen. Bis Mediziner solche neuen Waffen aber nutzen können, müssen noch einige Beweise gesammelt werden. Der Fall „Alzheimer“ ist noch längst nicht abgeschlossen.